Ich bin umgezogen. Mein neues Zuhause ist das East Africa Pub Inn in der Innenstadt. Diese Bar ist mit vier ordentlichen Fernsehern ausgestattet, serviert Bier zu normalen Preisen, ist bei jedem Spiel gut gefüllt und hat sogar ein bisschen Essen auf der Karte. Okay, bei dem Essen handelt es sich nicht wie üblich um Reis, Maisbrei oder Chipsi (Pommes), sondern lediglich um frittierte Kochbananen (die mir wenig zusagen) und gegrilltes Fleisch. Mal sehen, wie mein Magen mit der Ernährungsumstellung bzw. -einschränkung auf Wasser, Cola, Bier und Fleisch reagiert.
Nach all den Befürchtungen, die Tansanier würden die Weltmeisterschaft nicht ernst nehmen, da ihr Team nicht dabei, bin ich sehr positiv überrascht. Die ersten beiden Tage waren stimmungsmäßig sehr positiv einzuordnen und das zwischenzeitliche 1:0 für die gute Bafana Bafana brachte die Bar zum kochen. Wunderbare Stimmung hier!! Natürlich wird immer ganz besonders für die afrikanischen Teams mitgefiebert und wenn das Spiel erst einmal läuft und der Alkoholkonsum mit fortschreitender Zeit den Pegel kontinuierlich in die Höhe treibt, wird bei jeder Ballberührung geklatscht und gebrüllt. Dass bei Auswechslungen aufgestanden und geklatscht wird, ist ja wohl selbstverständlich.
Letzten Montag wäre ich gerne nach Dar Es Salaam gefahren. Dort spielte die Tansanische Nationalmannschaft – die Taifa Stars – gegen Brasilien. Das 1:5 wertete ich als tansanischen Erfolg, doch stand ich damit allein auf weiter Flur. All die Tansanier die während des Spiels an ihrem Radio hingen, waren tief enttäuscht und beschämt. Natürlich setzte auch ich mich vors Radio, doch leider verstand ich wenig. Den Freudenschrei des Kommentators beim 1:4 werde ich jedoch nicht vergessen. Ja, Fußball im Radio ist schon einzigartig.
Ich wurde gebeten, einfach mal ein bisschen über die tansanische Gesellschaft zu schreiben. Natürlich gibt es da eine Menge zu erzählen, doch ist es echt schwer, ein Thema auszusuchen. Gibt es Fragen von der Leserschaft? Bisher habe ich es meist vermieden, ernsthaft über Land und Leute zu berichten, da ich das als fast unmöglich ansehe. Schon wenn ich mich mit anderen Ausländern unterhalte, merke ich, wie sehr unsere Wahrnehmungen auseinander gehen. Wenn ich nun also von hier erzähle, fürchte ich, meine verehrten Leser durch subjektive Eindrücke im Bezug auf Tansania unrechtmäßig zu euphorisieren oder zu verprellen. Nichtsdestotrotz denke ich gleichzeitig, dass es doch auch etwas Schönes und auch meine Pflicht ist, all jene, die daheim im sommerlichen Deutschland am Computer sitzen, an meinen Gedanken über Tansania teilhaben zu lassen. Wann lassen sich schon Informationen aus allererster Hand lesen und wo sonst habe ich die Möglichkeit, mich öffentlich mit meinen Gedanken, Gefühlen und Eindrücken auseinanderzusetzen und daraufhin vielleicht auch in den ein oder anderen Diskurs zu geraten? Also, über Anregungen, Rückfragen, Lob und Tadel freue ich mich!!
Womit beginnen? Ich erzähle einfach mal ein bisschen von meinem neuen Fußballtrainer. 21 Jahre alt, hat er letztes oder vorletztes Jahr seinen A-Level-Abschluss (vergleichbar mit dem Abi) gemacht und wartet nun auf seine Unizulassung für September. Wie fast alle Tansanier hat er sich für "Accounting" beworben. BWL...langweilig! Andere Optionen sind "Management and Human Ressources" (oder so ähnlich) und "irgendetwas mit Landwirtschaft und Management". Der Mangel an Naturwissenschaftlern scheint meiner subjektiven Wahrnehmung nach auch in Tansania vorzuherrschen. Ich habe bisher einen Ingenieursstudent getroffen. Ansonsten treffe ich hier in Moshi primär auf Mediziner, Jäger und Safariguides. Diese Studenten...leider kenne ich praktisch keine Studenten besser. Es handelt sich hier stets um Barbekanntschaften, die mir in der Regel am nächsten Tag schon ein bisschen auf die Nerven gehen. Meist spielt sich die Sache wie folgt ab: ein besoffener Student läuft auf einen angetrunkenen Hannes zu, spricht ihn auf Englisch an, Hannes antwortet auf Kiswahili, der Student freut sich, sagt, dass jener Mzungu, der Kiswahili spricht, schon ein echter Tansanier ist, sagt weiter, dass er der beste Freund ist, erfragt die Handynummer, die Hannes ihm sofort gibt, um das Gespräch so schnell es geht zu beenden, und dann hat Hannes die Ehre zehn Komolitonen kennen zu lernen, die sich alle denken "oh mann! Was hat unser Kollege nur alles getrunken, dass er jetzt schon mit einem Weißen zu prahlen versucht...". Oh, wollte ich nicht eigentlich von Immanuel, dem Fußballtrainer erzählen?!? Er war wirklich beeindruckend!
Klar, viele haben ein gewisses Interesse an der Fremde und am "Leben der Weißen", doch selten saß ich eine halbe Stunde mit einem Tansanier zusammen und hatte so großen Spaß daran, die Fragen eines jungen, interessierten Mannes zu beantworten. Wie ist das Wetter bei euch? Standardfrage...Wie ist euer Bildungssystem? Schrecklich ;) Hier folgte ein fünf Minuten langer Vortrag, der mir selbst nur verdeutlichte, dass ich erschreckend wenig weiß und dass unser Bildungssystem kompliziert ist. Dass Bildung aber meistens umsonst ist, scheint ihn fasziniert zu haben. Er muss im Jahr mindestens sechshunderttausend Schilling für die Uni berappen. Vierhundert Euro mag dem Deutschen nicht viel erscheinen, doch wenn man bedenkt, dass das weit über der Jahreseinkunft eines Hausmädchens liegt und dass es in etwa dem Monatsgehalt meiner Chefin, Grace, entspricht, wird ersichtlich, dass es sich hier um einen Batzen Geld handelt. Schließlich ist Grace definitiv unter den Besserverdienenden anzusiedeln und man stelle sich vor, der Zögling eines solchen würde in Deutschland mal eben für fünf- oder sechstausend Euro im Jahr studieren wollen. Ordentlich.
Mindestens genauso verblüffend für Immanuel war die Tatsache, dass im Primärsektor (für all diejenigen, die in Politik oder Sozialkunde nicht zugehört haben, hier handelt es sich um Landwirtschaft) lediglich ein Prozent des deutschen BSP erwirtschaftet wird. Für einen Tansanier ist das völlig unvorstellbar. Schließlich sind hier achtzig bis neunzig Prozent in diesem Sektor erwerbstätig. Und der Staat gibt alles, die Bauern auch in ihrem Beruf zu halten und erlässt eine Steuererleichterung nach den anderen. Gestern las ich in der Zeitung, welche Maschinen und Transportwege von Steuern befreit werden sollen. Klingt nach einer großen Sache, doch da es sich beim allergrößten Teil der Bauern lediglich um Subsistenzwirtschaft handelt, fragt man sich doch, ob wirklich viele Leute von diesen groß angekündigten Maßnahmen probieren. Würden sich deutsche Bauern freuen, wenn auf einmal auf jeden Spaten fünfzig Prozent Rabatt wären und alle Ochsenkarrentransporte steuerfrei wären?
So, ein Highlight dieses ereignisreichen Wochenendes war die Miss Vodacom Kilimanjaro" Wahl im La Liga. In einer ewig langen Prozedur wurde die Schönheitskönigin der Region gekrönt. Allerdings schaute ich da schon lange nicht mehr zu. Die Siegerehrung fand um halb drei in der Nacht statt. Da war ich schon im Bett. Lüge. Da war ich im Nebenraum tanzen. Eine Misswahl ist nichts Spannendes kann ich von diesem Abend nur berichten. Ich vermute auch, dass sich das überall ziemlich ähnelt. Die einzige spannende Abwechslung waren Live-Auftritte von tansanischen Musikstars. Besonders der Auftritt der "Wazee wa samaki na bata" (Alte Herren der Fische und Enten) mit ihrem Knallerlied "Pole Samaki" (Tut mir leid, Fisch), ließ mein Herz höher springen.
Und heute Abend kommt das Deutschlandspiel, Ich werde mich schminken, mein Trikot tragen und die Tansanier damit wohl zum Kopfschütteln bringen. Naja, was soll's. Schönen Tag noch!!
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Gib mir mehr Blogeinträge und bitte übernimm Du die Berichterstattung von der WM.
AntwortenLöschenGrüße an Immanuel und viel Spass beim Training.
Danke!
F.L.