Mittwoch, 9. Juni 2010

Die Zeit zieht ins Land, ich ziehe ins Büro und Grace zieht ihre Kreise in Moshi. Wo? Das würde ich auch gerne wissen, doch Moshi Karanga, jener Stadtteil, der nach der Erdnuss benannt ist, wo unser Büro und mein Haus liegen, wird von ihr nur selten und stets zu unvorhersehbaren Zeitpunkten tangiert. Daran, dass wir uns, wenn wir uns denn sehen, prächtig verstehen und ich unglaublich dankbar bin, sie als Mentorin zu haben, ändert das nichts. Am Fortschritt unseres Projekts leider auch nicht. Der bleibt sehr gering.
Ausdrücke wie "DIA" (Das ist Afrika) oder "African Time" (für alles, was sich verspätet) habe ich nie benutzt. Sicherlich, es gibt riesige Unterschiede zwischen den Lebensweisen in Tansania und Deutschland, doch allein schon, wenn man die Größe und die kulturelle Vielfalt Afrikas betrachtet, sollte bewusst werden, dass sich auf diesem Kontinent nicht generalisieren lässt. Nichtsdestotrotz muss ich gestehen, dass ich von mir langsam den Eindruck gewinne, afrikanisiert geworden zu sein. Der Stillstand in der Arbeit stört mich nicht weiter, ich freue mich, im Büro Zeit für Unterhaltungen zu haben und verzücke die anwesenden Mitarbeiter mit Bach, Chopin und Beethoven. Mittags vertrete ich mir ein bisschen die Füße, setze mich zum Gemüsestand, lasse meinen Blick träumend durch die Gegend schweifen und genieße den Kiswahilismalltalk. Nach einer weiteren Büroschicht folgt neuerdings endlich wieder Sport. Im Moshi Technical College treffen sich jeden Nachmittag die älteren Jungs eines großen Straßenkinderheims, um auf einem der besten Plätze in der Umgebung zu spielen. Mann, die haben mich beim Aufwärmen vielleicht fertig gemacht. Ewig lang kein Sport, Husten, viele neue Kilos – danach war ich (Herr Grosch würde sagen: "Salopp gesagt:") im Sack. Am nächsten Tag bin ich gleich wieder hin und habe dann auch erstmal gespielt. Passable Leistung würde ich sagen, doch der Mittelstürmerposten ist nicht meine große Stärke. À propos Fußball: von WM-Vorfreude merke ich bislang relativ wenig. Da das tansanische Team bereits in der Qualifikation zur Qualifikation ausgeschieden ist, ist das auch nicht weiter verwunderlich. Meinerseits ist die Vorfreude jedoch riesig!! Letzte Woche kam das entsprechende Kicker Sonderheft an und ich bin jetzt bestens eingestimmt. Schade, dass es noch immer vier Tage sind ;)
Eine letzte Sache, möchte ich noch erzählen: bei einem meiner Mittagsspaziergänge bin ich letzte Woche zur Fabrik der "Kibo Match Group" gelaufen und habe dort einem Freund ein Buch zurückgegeben. Er zeigte mir daraufhin die gesamte Streichholzfabrik. Ausgestattet mit schwedischen und deutschen Maschinen aus den Siebzigern, war die Fabrik durchaus interessant. Am beeindruckendsten war aber ein einziger Satz, den mein Freund Michaeli, der technische Leiter der Fabrik, über das manuelle Verpacken der Streichhölzer fallen ließ. Es gibt in der Fabrik eine Maschine, die das erledigt, die aber bei weitem nicht die Kapazität für alle Streichhölzer besitzt. Also arbeiten gleichzeitig rund einhundert Frauen daran, die Streichhölzer zu verpacken. An den Kauf einer zweiten Maschine wird nicht gedacht, da man diese Chance der Arbeitsbeschaffung nicht verstreichen lassen will. Man sage das mal einem deutschen Unternehmensberater. Und solche Worte kommen vom technischen Leiter, der mit der Anschaffung einer weiteren Maschine hundert Lohnzahlungen monatlich einstellen könnte und gleichzeitig selbst mehr Arbeit, mehr Verantwortung und vermutlich mehr Geld bekommen würde. Das sozialistische Erbe scheint auch siebzehn Jahre (ich glaube, es sind siebzehn Jahre...) nach der Liberalisierung starken Einfluss auf die Wirtschaft zu haben. Und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich das in diesem Fall einfach nur beeindruckend finde!
Gruß und Kuss

1 Kommentar:

  1. gude, hannes!
    vielleicht ist das mit DIA und so wirklich blöd. die »hora nica« gab es in nicaragua. wahrscheinlich gibt es sowas überall – nur nicht in deutschland. also besser umdenken und das ganze umdrehen. überall ist man verspätet, nur DID hervorheben: das ist deutschland!
    dass die leute sich nicht so auf die wm freuen, kann ich mir kaum vorstellen. in berlin fahren schon unzählige mit ihren deutschlandfahnen am auto durch die gegend, überall sind fahnen zu sehen. (nicht auszudenken, wie es aussähe, wenn die türkei dabei wäre!) bestimmt geht der hype in tanzania los, sobald das eröffnungsspiel angefangen hat – das wünsche ich dir jedenfalls!
    deine streichholzanekdote gefällt mir. statt zu denken, dass die frauen dort sicherlich ausgebeutet werden und so einfach das positive zu betonen – dass sie immerhin arbeiten haben – ganz gut, ehrlich!
    grüße von deinem unigestressten bruder. (seit wann ich mich stressen lasse? naja, ich arbeite nicht alleine und werde gerade einfach mitgerissen...)

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